Wer liebt ihn nicht, den köstlichen Duft der frisch gerösteten Maronen auf den Herbst- und Weihnachtsmärkten? Den wenigsten ist jedoch bekannt, dass die Edel- oder Ess-Kastanie, von der die dunkelbraunen Früchte stammen, auch in unseren Breiten sehr gut gedeiht und in einigen Gebieten Deutschlands seit Jahrhunderten angebaut wird.
Die Baumart entstand vermutlich vor 2,5 Mio Jahren zum Ende des Tertiärs und war auch in Mitteleuropa verbreitet. In den Zwischeneiszeiten konnte sie noch in Island nachgewiesen werden, nach der letzten Kaltzeit hatte sie sich jedoch in den östlichen Mittelmeerraum und in den Südkaukasus zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer zurückgezogen. Bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. wurde sie dort als Obstbaum kultiviert und breitete sich nach Kleinasien und auf die Balkanhalbinsel aus. Seit der Antike wird sie im gesamten Mittelmeerraum angebaut und gelangte durch die Römer vor etwa 2000 Jahren wieder in die Gebiete nördlich der Alpen bis nach Britannien. Nach dem römischen Gelehrten Plinius dem Älteren soll der botanische Name auf den griechischen Ort Castanna zurückgehen.
Im westlichen Deutschland kommt sie in größeren Beständen auf wärmebegünstigten Standorten in der Rheinebene, im Maingebiet, an der Saar, der Mosel und im Taunus vor. Einzelbäume sind jedoch in ganz Deutschland anzutreffen. Ihr Verbreitungsschwerpunkt in Nordrhein-Westfalen liegt am Niederrhein. Ab etwa 1920 wurde sie im Gebiet des heutigen Kreises Wesel auf größeren Flächen als Waldbaum angebaut.
Die Edel-Kastanie bevorzugt wintermilde Standorte mit lockeren und gut durchwurzelbaren Böden und bildet dort ein kräftiges Wurzelsystem mit Pfahl- und weitstreichenden Seitenwurzeln aus. Verdichtete und staunasse sowie kalkreiche Standorte werden gemieden. Sie kann ein Alter von 500 bis 600 Jahren, im Mittelmeerraum auch bis zu 1000 Jahren erreichen.
Im Juni und Juli erscheinen ihre bis zu 25 cm langen kätzchenförmigen Blütenstände, die eine wertvolle Bienenweide sind. Unter den Imkern ist die Kastanienblüte sehr begehrt, denn aus ihr entsteht ein dunkler, bernsteinfarbener, aromatisch-herbwürziger Kastanienhonig.
Die glänzenden, dunkelbraunen Früchte bilden sich in einem stacheligen Fruchtbecher. Mit der Reife fallen diese ab Ende September bis Mitte Oktober vom Baum und werden von Eichhörnchen, Siebenschläfern und Vögeln natürlich verbreitet. Die schmackhaften, stärkehaltigen Kastanien wurden bereits in der Küche der Griechen und Römer für die Herstellung von Mehl, Brot und Suppen verwendet. Aus der Kultivierung der Edel-Kastanie sind bis heute über 100 verschiedene Sorten entstanden. Diese Zuchtsorten unterscheiden sich in Größe und dem Aussehen von der Wildform und werden als Maronen bezeichnet.
Edel-Kastanien bilden im Freistand einen relativ kurzen und knorrigen Hauptstamm, der sich nach wenigen Metern in eine breitstreichende Krone verzweigt. Im Wald wachsen die Bäume mit einem schlanken und je nach Dichtstand auch astfreien Stamm auf und können bis zu 35 m hoch werden. Ihre in der Jugend graue, glatte Rinde wird im Alter grob längsrissig und borkig. Am oftmals drehwüchsigen Stamm windet sich die Borke meistens in einer linksdrehenden Spirale um den Baum. Das gelbbraune Kernholz der Edel-Kastanie ähnelt optisch dem der Eiche, ist jedoch leichter und etwas weicher. Durch einen hohen Gerbstoffgehalt ist es sehr witterungsbeständig und wird daher gerne im Außenbereich im Zaun- und Spielgerätebau aber auch für die Lawinenschutzverbauung verwendet. Bereits die Römer nutzten das haltbare Holz für Rebpfähle und den Bau von Weinfässern.
Da die Baumart in der Lage ist, sich über sogenannte Stockausschläge aus der Wurzel zu regenerieren, wurde und wird sie auch heute noch großflächig als Niederwald bewirtschaftet. Nach etwa 20 Jahren werden die Bäume bei dieser Nutzungsform geschlagen, aus den Wurzelstöcken wachsen Stockausschläge wieder nach, die dann nach weiteren 20 Jahren wieder gefällt werden.
Mit den anhaltenden klimatischen Veränderungen findet die Baumart in den letzten Jahren eine immer größere Beachtung, da sie sowohl in Gebieten mit mediterranem wie auch in kühleren Klimazonen gedeiht.
Freistehende Edel-Kastanien bieten bereits in jungen Jahren reichlich Potential, Biotope für zahlreiche Tierarten zur Verfügung zu stellen. Bunt- und Grünspechte meißeln gerne ihre Bruthöhlen in die durch abgestorbene Äste gebildeten Faulstellen. Größere Höhlen, entstanden durch Fäulnisprozesse an Starkästen und Rindenverletzungen, werden gerne vom Waldkauz angenommen und bieten Fledermäusen und Kleinsäugern Unterschlupf. Vermodernde Wurzelstöcke sind ein Lebensraum für die Larven des Hirschkäfers und weiterer Totholzkäferarten. Mit der Pflanzung von Edel-Kastanien an Waldrändern und im Freistand werden daher gezielt wertvolle Biotopbäume in die Landschaft eingebracht.

Bildquelle: Christoph Michels, Dipl. Forstwirt